Als ich mich über die Website des Europäischen Solidarität Korps für das Projekt des „Eko Centar Latinovac“ bewarb, konnte ich mit diesem Namen wenig anfangen. Wie sich wenige Wochen später herausstellte, ist Latinovac kein kroatisches Wort für Großstadt, Kultur oder Modernität, sondern der Name des Dorfes, in dem ich für zwei Monate, von April bis Juni, meinen Freiwilligendienst absolvieren würde. Und wenn ich Dorf sage, dann meine ich 60 Einwohner*innen, keine Straßenlaternen und erst recht keine Clubs – großer Schocker für mich, Großstadtkind aus Berlin. Außerdem steht Eko aus dem Projektnamen nicht für Öko, sondern Educational-Kommunicational-Organisation und das Team besteht nicht aus verrückten Hippies und Ökotanten, sondern leidenschaftlichen und ambitionierten Realist*innen. Heimlich packte ich also meine Blumenketten wieder ein, als wir anstelle Bäume zu umarmen und in Blumenfeldern zu tanzen, lernten wie man Kompost aus Kuhmist macht, und Holz hackt.
Der Hauptfokus des Projekts liegt auf der nachhaltigen Entwicklung der Gemeinde, die durch Permakultur, Freiwilligenarbeit und Vernetzung mit den Menschen vor Ort geschafft werden soll. Unseren Alltag kann man nur schwer zusammenfassen, weil uns immer etwas Neues erwartet. Heute pflanzen wir Gemüse, gestern besuchten wir in den Kindergarten des Nachtbarortes, um traditionelle Tänze den Kindern beizubringen (ich habe die Polonäse ausgesucht, doch dann feststellen müssen, dass es die Tradition, eine Schlange zu bilden und dann durch den Raum zu laufen, nicht exklusiv in Deutschland, sondern buchstäblich überall gibt) und morgen planen wir einen Jugendtreff für die Kinder und Teenager der Umgebung. Ein Event, das definitiv als Highlight gilt, war das jährliche Frühlings-Festival, das wir organisiert haben. Ca. 300 Kinder und Erwachsene kamen in unserem kleinen, schnuckeligen Dorf zusammen, um an unseren Workshops teilzunehmen. Viele der Dorfbewohner*innen halfen auch mit, unterstützten uns mit Leckerbissen und fleißigen Händen, und all das freiwillig. Es war sehr rührend zu sehen, wie die Gemeinschaft zusammenwuchs und füreinander da war.
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Anders, als bei meinem vorherigen Freiwilligendienst, leben wir bei den Dorfbewohner*innen, was mich dazu zwang, mir überlebenswichtige kroatische Vokabeln anzueignen und andere Wege zu finden, um über das Wetter zu reden oder darüber, dass das Klo verstopft ist. Inzwischen glaube ich die Buchstaben, č (tsch) ć (tch), dž (dtsch), đ (gj)), š (sch) und ž (gih) aussprechen zu können und dabei nicht meine Gesprächspartner*innen anzuspucken und die nonverbale Kommunikation gemeistert zu haben (meine Bewerbung für die nächsten Charade-Olympiade wurde schon eingereicht und genehmigt).
Natürlich war es auch eine Umstellung mit dem 13-köpfigen Team, einschließlich neun Nationalitäten (u.a. Belgien, Aserbaidschan, Türkei, Russland & der Ukraine) Englisch zu sprechen und sich an die verschiedenen Akzente zu gewöhnen. Zwar bin ich die einzige Deutsche aus dem Team, aber dennoch gab es genügend Möglichkeiten Deutsch zu sprechen, denn die Chance, auf einen Kroaten oder eine Kroatin zu treffen, der/die Deutsch spricht, ist bedeutend höher als auf einen englischsprechenden. Ich eignete es mir also an, auf „ne govorim hrvatski“ (ich spreche kein Kroatisch) „govorim njemački“ (ich spreche Deutsch) folgen zu lassen.
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Mein Aufenthalt in Latinovac hat mir geholfen zu entschleunigen, das Leben nicht so ernst zu nehmen, und, ich weiß das klingt albern, mich mit der Natur zu verbinden. Wenn ich in zwei Wochen nach Berlin zurückkehre, wird mich die Realität wahrscheinlich wieder auf den Betonboden der Tatsachen holen und ich werde die Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft der Kroat*innen vermissen, aber bis die Zeit gekommen ist, werde ich mir noch mindestens vier Zecken einfangen, selbstgepflanzte Himbeeren ernten, mich an den Ferkeln meines Gastgebers erfreuen und meine Hände in den brühend heißen Kompost stecken.
- Mira Köbe, 18.05.2022
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Mehr Infos zum ESK-Freiwilligendienst: https://www.visioneers.berlin/esk
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